Motorrad statt Pferd

Von Text Klemens Ludwig, Fotos Monika Nutz · · 2012/12

In der Mongolei, dem am dünnsten besiedelten Land der Welt, ziehen immer mehr Menschen in die Hauptstadt, die einzige Großstadt des riesigen Reiches.

Grüne Steppe, so weit das Auge reicht, im Sommer sogar von Blumen übersät. Am fernen Horizont begrenzen sanfte Hügel den Blick, und aus der Unendlichkeit der Landschaft stechen weiße Punkte hervor. Beim Näherkommen werden die Konturen von Nomadenzelten, den Jurten, deutlich. Schließlich lassen sich Reiter ausmachen sowie Menschen und Hunde zwischen den Zelten. Der Empfang für die Gäste ist herzlich. Im Sommer erscheint das Nomadenleben in den Weiten der mongolischen Steppe wie eine in die Realität verwandelte Postkartenidylle. Käme ein Reitertrupp Dschinghis Khans über die Steppe galoppiert, könnte das nicht überraschen.

Von der einstigen Größe der Mongolen ist jedoch nicht viel übrig geblieben. Dass es überhaupt einen mongolischen Nationalstaat gibt, ist der Rivalität zwischen der ehemaligen Sowjetunion und China zu verdanken. Die meisten MongolInnen, etwa sechs Millionen, leben in der benachbarten Volksrepublik. Dort besitzen sie zwar ein „Autonomes Gebiet“, doch das hielt Peking nicht davon ab, sie weitgehend zu marginalisieren. In der so genannten „Inneren Mongolei“ sehen sich die Einheimischen 20 Millionen ChinesInnen gegenüber.

Besser ergeht es den MongolInnen im Nationalstaat, auch wenn sie nur knapp drei Millionen Menschen ausmachen. Bei einer Fläche, die fast zwanzigmal so groß ist wie Österreich, ist die Mongolei das am dünnsten besiedelte Land der Welt. An die 300.000 Menschen leben als Nomaden.

Der kleine Bogdo hält sich mit seinen sechs Jahren bereits wie ein Alter im Sattel. Wenn die Erwachsenen ihm erlauben, mit zu den Herden hinauszureiten, ist er besonders stolz. „Ich will einmal ganz viele Tiere besitzen“, verkündet er voller Selbstbewusstsein. Im Gegensatz zu dem benachbarten Tibet, wo das Yak, das zähe Hochlandrind, die wirtschaftliche Basis der Nomaden bildet, sichern in der Mongolei vor allem Rinder, Schafe und Ziegen das Auskommen. Sie liefern Milch, Fleisch und Wolle. Einige Gruppen am Rande der Gobi-Wüste besitzen sogar Kamele, vor allem für den Transport von Lasten.

Dass die Tradition einem Wandel unterworfen ist, zeigt sich auf den ersten Blick. Der Stolz vieler junger Erwachsener ist nicht länger das Pferd, sondern ein Motorrad. Damit die Herden zu begleiten oder in die nächste Stadt zu gelangen, ist weitaus angenehmer. „Warum sollen wir nicht auch am Fortschritt teilhaben?“, fragt Bogdos großer Cousin Bulgar. Er hat auch die Erfahrung gemacht, dass sein Zweirad die jungen Frauen beeindruckt. Das ist ein mindestens ebenso gewichtiger Grund für viele junge Nomaden, für ein Motorrad zu sparen.

Ansonsten hält sich die Tradition zumindest noch bei den Geschlechterrollen. Bogdos Schwester Oga reitet auch gerne, aber sie wird schon jetzt auf ihre Rolle als Versorgerin vorbereitet. Melken und Buttern gehört zu ihren Aktivitäten. Ob Bogdo und Oga wirklich noch eine Chance haben, das zu praktizieren, was sie jetzt lernen, ist jedoch fraglich.

Was im Kleinen sichtbar ist, vollzieht sich ebenso im Großen. Die Mongolei unterliegt einem grundlegenden Wandel. Viele, die auf dem Lande keine Perspektive mehr sehen oder denen das nomadische Leben, das nur im Sommer idyllisch erscheint, zu hart geworden ist, ziehen in die Stadt. Vordergründig wird dadurch der Wüstenbildung und Versteppung entgegengewirkt, eine Folge der Überweidung durch wachsende Viehherden. Doch die Entwicklung birgt andere Risiken.

Es gibt in der Mongolei nur eine Stadt, die diesen Namen verdient, die Hauptstadt Ulaanbaatar, besser bekannt unter dem russischen Namen Ulan-Bator. Dort leben knapp 1,1 Mio. Menschen, mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung. Die nächstgrößere Stadt, Erdenet, kommt auf gerade 80.000 EinwohnerInnen. In Ulaanbaatar zeigen sich die Schattenseiten der Entwicklung besonders drastisch: kilometerlange Wohnsilos, Autos mit hohem Schadstoffausstoß, eine permanente Dunstglocke über der Stadt und nur notdürftig versteckt wilde Mülldeponien.

Viele der nicht ausgebildeten Neuankömmlinge streben vor allem in den Dienstleistungssektor. Um der dadurch drohenden Arbeitslosigkeit vorzubeugen, setzt die Regierung auf die Ausbeutung von Bodenschätzen. Davon besitzt das Land reichlich, doch deren rücksichtsloser Abbau wird zu einer besonderen Belastung für die Umwelt.

Es gibt kaum etwas, das es in der Mongolei nicht gibt: Erdöl, Gold. Silber, Diamanten, Uran, Kupfer, Kohle und vieles andere mehr haben GeologInnen ausgemacht. Diese Bodenschätze bilden die Basis für große wirtschaftliche Pläne, locken jedoch auch zahlreiche Investoren aus China, Russland und den USA an.

Da sich ein ökologisches Bewusstsein gerade erst entwickelt, werden viele der Bodenschätze im Tagebau abgebaut. Keine Umweltauflagen behindern den Boom. Die unvermeidlichen Abraumhalden verschandeln nicht nur die Landschaft, sondern enthalten auch hohe Konzentrationen giftiger Schwermetalle. Flüsse trocknen aus, ganze Landstriche verwandeln sich in eine braune Einöde.

Die Rücksichtslosigkeit geht auf eine Zeit zurück, als die Mongolei noch ein Vasallenstaat der Sowjetunion war; was ihr jedoch – ironischerweise – die Unabhängigkeit gesichert hat. Bis 1911 gehörte das gesamte mongolische Territorium zum chinesischen Kaiserreich, allerdings waren die administrativen Grenzen zwischen der so genannten Inneren und Äußeren Mongolei damals bereits gezogen worden. Nach dem Sturz des letzten Kaisers löste sich die Äußere Mongolei von China. Chinesische Truppen blieben jedoch zunächst im Land und wurden erst in den 1920er Jahren mit Unterstützung der Sowjetunion vertrieben.

Im Zuge der nationalen Aufbruchstimmung bemühte sich die Führung in Ulaanbaatar um den Anschluss der Inneren Mongolei, doch das Gebiet war bereits mehrheitlich von ChinesInnen besiedelt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg musste China auf sowjetischen Druck die Ansprüche auf die Äußere Mongolei vertraglich abtreten. Der Einfluss der Sowjetunion in der Mongolei war noch größer als auf die Staaten des Warschauer Pakts, und sie verfügte eine rücksichtslose Ausbeutung der Bodenschätze.

Goliath gegen David

Eines der größten Bergbauprojekte in der Mongolei ist das Oyu Tolgoi-Projekt von Rio Tinto, dem größten Bergbau-Multi der Welt, in der Wüste Gobi. Dort wird in einem gigantischen Maßstab Kupfer und Gold abgebaut. Das Projekt startete 2009 und hat ein Investitionsvolumen von sechs Mrd. US-Dollar. Mit 34 Prozent ist der mongolische Staat daran beteiligt.

Inzwischen fordert die regierende Demokratische (früher Sozialdemokratische) Partei eine Erhöhung der Staatsbeteiligung auf 51 Prozent. Zudem will die Regierung die Steuer für dieses und andere Bergbauprojekte deutlich erhöhen. Derartige Pläne lehnt Rio Tinto entschieden ab und pocht auf geltende Verträge. Ausländische Firmenvertreter sprechen gar von einer „nationalistischen und ausländerfeindlichen Stimmung“ und drohen unverhohlen mit dem Stopp weiterer Investitionen.

Gleichzeitig protestieren NomadInnen gegen das Projekt, das ihnen große Teile ihrer Weidegebiete weggenommen hat. Da NomadInnen selten über Landtitel verfügen, haben sie bei solchen Auseinandersetzungen wenig legale Möglichkeiten. K.L.

Mit dem Zerfall der Sowjetunion erlangte die Mongolei ihre volle Souveränität zurück, und vieles hat sich seitdem verändert. Es herrschen demokratische Strukturen und die Religion ist neu aufgeblüht. Die Mehrheit der Mongolen bekennt sich zum tibetischen Buddhismus und betrachtet den Dalai Lama als ihr Oberhaupt. Der hat die Mongolei 2002 und 2011 besucht, was Sanktionen der VR China zur Folge hatte, die unter anderem die Grenze für Züge in die Mongolei sperrte. Unter den Nomaden sind auch schamanistische Praktiken weit verbreitet, die früher ebenso verfolgt wurden wie die Weltreligionen.

Nur in der Umweltpolitik hat sich nicht viel geändert. Doch auch das ist nur eine Momentaufnahme, in einem Land der Widersprüche, in dem alles im Fluss erscheint und die alten Traditionen gleichzeitig lebendig sind. In Ulaanbaatar entsteht allmählich ein Bewusstsein für die Umwelt, resultierend aus der Erfahrung der schleichenden ökologischen Zerstörung. Dschainang wohnt im Untergeschoss eines Plattenbaus. Er gehört einer Gruppe an, die sich gegen den Ausverkauf des Landes an fremde Investoren wehrt. „Wir wissen um unsere Reichtümer, aber wir wissen auch, dass sie zum Fluch werden können. Schauen Sie nur nach Nigeria, was haben die Menschen dort von ihrem Reichtum? Wenn nun Firmen aus China, Russland oder der westlichen Welt erlaubt wird, unsere Bodenschätze zu plündern, haben sie den Gewinn und wir nur Zerstörung. Das wollen wir unbedingt verhindern.“ Früher war Dschainang Lehrer, doch, so seine ernüchternde Einsicht: „Was soll ich den Kindern mit auf den Weg geben, wenn wir gar nicht wissen, wie ihre Zukunft sein wird?“ Also gab er seine Anstellung auf und widmet sich ganz dem Umweltschutz.

Es bleibt nicht nur bei Vorsätzen und verbalen Protesten. In Ulaanbaatar protestieren UmweltaktivistInnen immer wieder lautstark gegen den Ausverkauf des Landes – und werden dabei rasch von Sicherheitskräften in die Schranken gewiesen. Es gibt auch in der Mongolei Kreise, die an den Geschäften mit den Reichtümern des Landes verdienen. Offen stellen sie ihren Reichtum zur Schau. Die Zahl der Luxuslimousinen in Ulaanbaatar steigt sprunghaft.

Dschainang ist allerdings optimistisch. „Immer mehr Menschen merken jeden Tag, dass es so nicht weitergehen kann. Dem wird sich die Regierung auf die Dauer nicht entziehen können.“

Klemens Ludwig ist Autor und Journalist mit dem Schwerpunkt Asien und lebt in Bielefeld. Er ist langjähriger Mitarbeiter der Gesellschaft für bedrohte Völker.
Monika Nutz ist freie Grafikerin und Reisefotografin, die in erster Linie ein Land und seine Menschen kennen lernen möchte. Sie lebt in Wien.

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